Der Dopingfall Heßmann und seine weitreichenden Konsequenzen
Wenn man dieser Tage von einem positiven Testergebnis im Radsport mit einem Maskierungsmittel liest, dann will man eigentlich gelangweilt weiterblättern. Denkt man doch zunächst, der Überführte hat sich einer PCR Test positiven unspezifischen Erkältung [1] „schuldig“ gemacht und ist mit entsprechender unsinniger Maskenbevormundung herumgelaufen [2]. In der Causa des Münsteraners Michel Heßmann, aus dem derzeit den Profiradsport historisch dominierenden Team Jumbo-Visma, des aktuellen Tour de France Siegers Jonas Vingegaard, sowie des amtierenden Giro d´Italia Triumphators Primoz Roglic und des frischgebackenen Vuelta Champions Sepp Kuss, lohnt es sich allerdings genauer hinzuschauen, weil sich hierbei in der Tat einige delikate Fragen ergeben.
Die nüchterne Chronologie der Causa Heßmann beginnt mit einem positiven Doping Testresultat vom 14.06.2023, das sein Team Jumbo-Visma am 16.08.2023 in einer Pressemitteilung mit der Erläuterung erweitert, bei der Substanz handelt es sich um ein Maskierungsmittel. Der exakte Wirkstoff wird nicht benannt, auch der Zeitpunkt der erstmaligen Kenntnis vom positiven Dopingbefund des Teammitgliedes wird nicht bekannt gegeben [3]. Dieser wäre insofern bedeutsam, wenn bereits während der Tour de France im Team die Information vorhanden gewesen wäre. Das würde bspw. die sehr ungewöhnlichen Formulierungen des Toursiegers und Teamleaders von Jumbo-Visma, Jonas Vingegaard, bei seiner Pressekonferenz im Anschluss an das Einzelzeitfahren der 16. Etappe in einem anderen Kontext erscheinen lassen [4]. Vingegaard äußerst sich dort, nach seinem geradezu unfassbaren par force Ritt, der unweigerlich Fragen zu der Glaubwürdigkeit dieser Leistung aufwirft, entgegen seinen sonst kargen und eher abweisenden Stellungnahmen zu möglicher Dopinganwendung sehr offen und selbstkritisch. Für Insider skurril ist in dieser PK auch seine Offenbarung eine 20Watt höhere Dauerleistung getreten zu haben, als er erwartet hätte [5]. V.a. die absolute Dimension von 380Watt die er angibt, erinnert an finstere Zeiten der jüngeren Radsporthistorie. Wenn Vingegaard dies auch schelmisch mit dem Verweis versieht, er habe zunächst gedacht sein Powermeter sei defekt, bestätigt er damit indirekt das diese Leitung real gewesen ist. Eine 20 Watt höhere Dauerleistung fährt man nicht einfach so überraschend, im Hochleistungsbereich sind das Quantensprünge, das ganzjährige Datenmonitoring der Athleten macht solche Ausreißer einfach unmöglich, man weiß jederzeit sehr exakt zu was die Athleten fähig sind bzw. was sie definitiv nicht leisten könnten. Das ist natürlich auch Vingegaard bei seinem Statement klar, er formuliert es deshalb sehr sympathisch und geschickt.
An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs erlaubt, weil im Zusammenhang mit der Vergleichbarkeit der Leistungsspektren aus der nachweislichen Doping EPOche der 1990er und 2000er Jahre mit den Kennwerten der aktuellen Athletengeneration, immer wieder das Argument angeführt wird Material und Ernährung seien soweit fortentwickelt worden das mit den damaligen Gegebenheiten keinerlei Äquivalenz gegeben sei. Das mag sicher zutreffen, wenn man modernes Radsportequipment mit dem Stand der Radsporttechnik der 1960er Jahre vergleicht. Mit den Innovationen der 1990er und 2000er Radsporttechnik Produkte, wird die Differenz für exorbitante technologisch bedingte Leistungssprünge jedoch deutlich geringer und kann die aktuelle vollständige Kompensation der dopingbasierten Leistungsvorsprünge aus den Hochzeiten der EPO Generation um die Jahrtausendwende nicht hinreichend erklären. Schon zu Zeiten eines Miguel Indurain, wenn dieser bei den Einzelzeitfahren sein „Flugzeug“ auspackte, wie es das einstige Radsportunikum Rudi Altig so unnachahmlich kommentierte, haben bspw. die Ingenieure von Indurains Pinarello oder der FES [6] Tage und Wochen in Windkanälen oder bei Aerodynamiktests auf diversen Radrennbahnen zugebracht. Einschlägige Dokumentationen aus dieser Zeit [7] belegen beeindruckend mit welcher Akribie und Erfindergeist an Materialverbesserungen getüftelt wurde um Leistungsvorteile zu erreichen. Die Älteren unter uns erinnern sich sicherlich auch noch an den genialen Christian Smolik, lange Jahre Leiter des Technikressorts beim Radfachmagazin tour, der seiner Zeit um Jahrzehnte voraus war [8]. Auch der Verweis auf die angeblich moderne Watt gesteuerte Trainingsmethodik, durch flächendeckenden Einsatz von Powermetern, kann bei Zeitzeugen aus den Pioniertagen der mobilen Leistungsmessung nur ein müdes Lächeln hervorrufen. Der Urprototyp der Powermeter wurde 1987 vom findigen Ingenieur Uli Schoberer entwickelt [9] und bereits Mitte der 1990er flächendeckend im Profi- und Amateurpeloton eingesetzt. Möglicherweise liegt eine plausible Erklärung der fragwürdigen Leistungskenndaten der Athleten, die insbesondere mit unglaublich kurzen Erholungszeiten korrelieren, tatsächlich in einer modernen technischen Errungenschaft, die Gerüchte über Motordoping im Peloton halten sich immerhin schon seit fast einem Jahrzehnt [10].