Interessant das einige Fahrer mit 165mm Kurbellänge an den Start gehen. Dieser scheinbare Hebellängen- und damit Drehmomentnachteil wird durch den riesigen Radius der Kettenblätter hinreichend kompensiert. Der in der oberen Totpunktposition des Trittzyklus weiter geöffnete Hüftwinkel, führt zur Möglichkeit einer stärkeren Oberkörperabsenkung und damit verbesserten aerodynamischen Fahrposition. Der geringere Umschlingungswinkel der Kettenführung reduziert die Reibungsverluste um weitere ca. 2 Watt. Ineos Kapitän Rodriguez reizt das aktuell scheinbar machbare Spektrum mit einem 66er Kettenblatt aus, dabei benutzt er zur ÜV Variation insbesondere an den Anstiegen eine neuartige Nabenschaltung [12]. Durch die maximalen ÜV´s (60×10, 62×11) wird es den Rennfahrern möglich, bei Geschwindigkeiten um die 80km/h weiter mit zu treten und auch dort noch Vortrieb zu erzeugen. Das sie dabei im gesamten Zeitfahren durchschnittliche Tretfrequenzen von über 100 U/min realisieren [13], wohlgemerkt bei unglaublich hohen Kraftanforderungen und absoluten Wattleistungen, lässt den Laien staunen, der Fachmann bleibt mehr als verwundert zurück.
Die Top Teams fahren zudem ausschließlich mit Mono Kettenblättern und Kettenabwurfschutz. Konservative und möglicherweise auch Budget beschränkte Teilnehmer sind immer noch mit 2fach Kettenblättern unterwegs, die nicht nur Gewichts- und Aerodynamiknachteile haben, sondern auch ihre Tücken beim Abspringen und Verklemmen der Kette bergen [14].
In summa siegt Evenepoel mit einer fast 53km/h Durchschnittsgeschwindigkeit, wobei der Parcours auch einen kurzen Anstieg mit bis zu 8% beinhaltet, über den er mit ca. 40km/h drüber bügelt und auf der Abfahrt fast 90km/h erreicht. Geschwindigkeiten welche die Einheimischen selbst mit dem KfZ auf gleicher Strecke kaum erreichen, was erneut die Spekulationen um die Tankfüllungen der Radprofis anregt.
Den Vogel beim Zeitfahren schießen allerdings die UCI Funktionäre ab. Sie bestrafen den Lokalmatador Julien Bernard (Team Lidl–Trek), weil dieser bei seiner Familie an der Strecke kurz anhält und seine Frau küsst [16]. Eine Szene welche weltweite Sympathie hervorgerufen hat und von den vermeintlichen Hütern des Radsports als Imageschädigend sanktioniert wurde. Diese Wichtigtuer sollten sich stattdessen dringend mit den Schwerpunktstaatsanwaltschaften Doping in Europa zusammensetzen, um der ausufernden Unglaubwürdigkeit der Leistungsspektren im Profiradsport Einhalt zu gebieten, bevor dessen Image endgültig ruiniert wird. Die völlig korrupte WADA („Welt Antidoping Agentur“), wie es der USADA (US Antidoping Agentur) Chef treffend beschreibt, ist mit dem jüngsten Skandal bei der aktuellen Olympiade in Frankeich um die chinesischen Schwimmer [17a] und deren positive Proben auf Trimetazidin [18], jedenfalls kein ernstzunehmender Akteur mehr im Kampf gegen illegale Leistungssteigerung. Die Dopinganalytiklaboratorien sind ohnehin schon seit geraumer Zeit ein völliger Totalausfall, weil sie komplett von der hochkriminellen Sportmafia und deren Manipulationsarsenal abgehangen wurden [17b].
Auf der 9. Etappe trägt der Veranstalter der wachsenden Popularität der Gravel Rennen Rechnung und jagt das Feld über 17 Schotterpistenabschnitte, die sowohl an die Fahrtechnik der Pedaleure als auch an die technische Logistik der Teams extreme Herausforderungen stellen. Das Radmaterial muss insbesondere bei der Bereifung für diesen einen Tag komplett umgestellt werden, Team DSM-Firmenich fährt bspw. statt der normalen Straßenlaufräder 30mm Gravel Spezialmäntel mit Inlay Pannenschutz und deutlich niedrigerem Reifendruck (z.T. unter 5 bar) [19]. Die Umrüstung eines ganzen Teamequipments inklusive der Ersatzlaufräder für die Gravelabschnitte, beläuft sich beim Team Red Bull-Bora-Hans Grohe bspw. auf sage und schreibe 102 neu bestückte Laufräder, nur für diese eine Etappe [20]. Die Furcht der GC Favoriten vor dem Pannenteufel ist auf diesem Untergrund besonders groß, das Visma Team liefert dabei eine technisch taktische Meisterleistung ab. Als GC Top Favorit und Teamkapitän Vingegaard auf einem Schotterstück Defekt meldet, überlässt ihm sein Edeldomestike Jan Tratnik das Arbeitsgerät, auf diesem fährt Vingegaard die gesamte Etappe zu Ende. Die Radgeometrie von Tratniks Gefährt entsprach dabei, aufgrund ähnlicher Anthropometrie der beiden Akteure, exakt den Sitzpositionsmaßen von Vingegaard [21]. Dadurch verlor Vingegaard weder seine Position noch Zeit in der Gesamtwertung, ein echtes Kunststück perfekter Teamarbeit. Ein weiteres Beispiel wie sich die Top Teams Visma und UAE mit ihrer mannschaftlichen Stärke auf dieser Etappe präsentieren, ist die Besetzung der entscheidenden Gruppen im Rennverlauf. Visma und UAE haben in der GC Gruppe jeweils fünf Fahrer vertreten, Red Bull- Bora-Hans Grohe und Lotto-Soudal sind nur mit je zwei Protagonisten präsent, haben aber immerhin noch weitere Fahrer als Back up Sicherung in der dritten Gruppe hinter den GC Favoriten platziert.