Und wenn es noch irgendeines Beweises bedurft hätte, das sich das Peloton in einem evolutiv unerklärbaren Entwicklungssprung befindet, dann liefern dies ultimativ die Geschehnisse während der Pyrenäen Etappen. Zunächst bilden die nüchternen Etappendaten schon reichlich Spekulationspotential. Die 14. Etappe über 152km und 4050hm wird mit einem Stundenmittel von 37,685km/h [4], die 15. Etappe über 198km und 5071hm mit 37,787km/h [5] absolviert. Der Kommentar von Degenkolb im Ziel sollte eigentlich stutzig machen: “Das war einer meiner härtesten Tage als Profi. Es gab immer schwere Tage bei der Tour, aber das war heute nochmal was anderes. Wenn man nach sechs Stunden 320 Watt im Schnitt gefahren ist, dann ist das schon verrückt. Wir wussten, wie knapp es wird und sind den letzten Berg 400 Watt durchschnittlich gefahren. Das war kein Vergnügen [6].“ Die hier offenbarten Leistungsdaten mussten von den Rennfahrern im Grupetto erbracht werden, welche um das Erreichen des Zeitlimits kämpften damit sie nicht aus der Wertung und somit der Rundfahrt genommen werden! Mit diesen Werten wurde vor gar nicht allzu langer Zeit noch um die Etappensiege und die Gesamtwertung gefahren, wohlgemerkt mit freundlicher Unterstützung von BigPharma! Die Absurditäten gehen aber noch weiter. Pogacar pulverisiert mit seiner Fahrzeit am Plateau de Beille regelrecht die Rekordwerte der nachweislich gedopten Superstars der Vergangenheit (s. Abb. 5). Und nicht nur das, 10-13 weiter Fahrer im vorderen Etappenklassement knacken diese Marken ebenfalls problemlos.
Wenn man sich dann noch die zugehörigen Fahrgeschwindigkeiten bergauf vergegenwärtigt (Abb. 6), sowie die daraus resultierenden nochmals gesteigerten leistungsphysiologischen Kenndaten analysiert [8], dann fällt einem das leistungsdiagnostische Laborbesteck vor Schrecken aus den Händen. „Strahlemann“ rast das Plateau de Beille knapp 40min lang mit phänomenalen 6,98W/kg KG hinauf, die korrigierte FTP läge damit absolut bei ca. 435-440W!
Schaut man sich die Helferriege des absolut dominanten Team UAE genauer an, dann ragt dort, nicht nur wegen seiner Größe von 1,96m, ein Deutscher besonders heraus, Nils Politt. Dieser über 80kg schwere Fahrer fährt als Zuglokomotive von UAE vor seinem GC Kapitän mit einer Geschwindigkeit bergauf, so dass die Bergflöhe der Konkurrenzmannschaften reihenweise aus der Gruppe zurück fallen. Wenn man diesen unfassbaren Sprung im Leistungsniveau mit der Performance zu seiner vorjährigen Teamzugehörigkeit bei Bora-Hans Grohe vergleicht, dann kommt man schlussendlich zu dem Resümee, dies kann nur an dem besonderen Tee vom Scheich als UAE Teaminhaber liegen. Scheich Tahnoon bin Zayed Al Nahyan, der das UAE Radsportteam ins Leben gerufen hat [11], übrigens hervorgegangen aus dem dopingverseuchten italienischen Team Lampre, ist ein skrupelloser Geschäftsmann [12] dessen Familie zu den reichsten der Welt zählt. Mit dem märchenhaften Reichtum lässt sich sicher so manches leistungssteigernd wirksames Personal samt Equipment in die Wüste transferieren und dort dem Zugriff sämtlicher Kontrollinstanzen entziehen. Das Emirat Katar zeigt bspw. mit dem Projekt Aspire, bei dem mal eben so eine Milliarde Dollar investiert wurde, was alles möglich ist [13]. Die ARD Livekommentatoren haben für die außerordentlichen Leistungen der Velogladiatoren allerdings eine völlig andere Erklärung, es war die so schön neu geteerte Auffahrt welche alles erklärt. Kollegen, ihr habt den Knall echt nicht mehr gehört, als wir vor über 20 Jahren noch zusammengearbeitet haben, wurden von Euch zu mindestens noch journalistische Grundwerte eingehalten, die habt ihr in den letzten 4 Jahren allerdings restlos über Bord geworfen.
Die 17.Etappe mit 178km über 3100hm, wurde im unfassbaren Schnitt von 43,3km/h gefahren, wobei das Etappenprofil vom Start bis zum Ziel ständig bergauf verlief [14]! Das eigentlich naturgesetzliche Phänomen der Ermüdung scheint im modernen Profiradsport einfach nicht mehr zu existieren. Insbesondere bei Pogacar scheint das Attackenreservoir geradezu unerschöpflich zu sein. Sein ärgster Widersacher Vingegaard muss schon die ganze Mannschaft in die Offensive um die Tagesgruppen entsenden, um im Finale mit deren Unterstützung so gerade noch einen weiteren Rückstand gegen einen ständig davonstürmenden Pogacar zu verhindern [15]. Bezeichnend das der Träger des grünen Trikots, immerhin ein Weltklasserennfahrer der auch auf profiliertem Gelände als Sprinter hervorragend zurechtkommt, am Ende der Etappe auf den Sieger einen Rückstand von 12,3km aufweist (Abb. 7).
Auf den ultraschweren Alpenetappen wird die Dominanz von Pogacar derart arrogant, als er auf der 19. Etappe den lange führenden Joergenson kurz vor dem Ziel noch einholt und tags drauf nicht einmal dem lange Zeit von vorne fahrenden Vingegaard den Etappensieg überlasst [17]. Er merkt offensichtlich überhaupt nicht, wie sehr er damit die Diskussionen um seine fragwürdigen Leistungen provoziert und dem Image des Radsports schadet. Selbst Lance Armstrong ist auf seine alten Tage diesbezüglich weise geworden, Pogacar sollte dort genau zuhören, der Mann weiß schließlich genau wovon er redet: „Yes. It is a bike race but it is also a political campaign. Don’t give them a reason to hate you. Don’t give them a reason to not like you. If you still don’t understand, don’t give them a reason to question you! [18]“. Abermals macht auch der unfassbare Auftritt von Politt für Pogacar am Col de Vars und der Cime de la Bonette sprachlos. Die UAE Tankstelle vom Scheich hat wohl tatsächlich einen besonderen Treibstoff parat. Die Leistungskenndaten tragen ein weiteres Mal dazu bei über die Mobilisationsreserven der Top Akteure in der dritten Rundfahrtwoche den Kopf zu schütteln. Die 19. Etappe über 145km mit 4500hm, über drei 2000m hohe Alpenriesen, wird mit fast 36km/h Durchschnittsgeschwindigkeit absolviert [19]. Etappe 20 mit 133km und 4800hm, über 4 Alpenpässe folgt mit 33km/h Stundenmittel [20]. Die Fahrgeschwindigkeiten in den Anstiegen lassen ebenfalls keinerlei Verschleißerscheinungen bei den Protagonisten erkennen. Nach Isola 2000 stürmt Pogacar erneut fast 40min lang mit 6,83W/kg KG bergan und auch am Col de la Couilolle mobilisiert er auf derselben Zeitdauer nochmal 6,52W/kg KG im Windschatten von Vingegaard [8].