Die epische Schlacht im Gesamtklassement über 211km und 4300hm während der 11. Etappe, mit dem grandiosen Sprintfinale zwischen Pogacar und Vingegaard, sorgt für weitere Gänsehautmomente bei der diesjährigen TdF (Tour de France). Vingegaard feiert hierbei endgültig seine persönliche Wiederauferstehung mit dem Etappensieg und versetzt Pogacar einen herben psychologischen Tiefschlag. Das der Däne es nach dem katastrophalen Sturz während der Baskenlandrundfahrt im Frühjahr, ohne weitere Rennkilometer in den Beinen, geschafft hat auf so einem Weltklasseniveau zurückzukommen ist ein weiteres der vielen unerklärbaren Wunder des modernen Profiradsports. Das er sicher hart an diesem Comeback gearbeitet hat steht dabei außer Frage, die unglaublich kurze Rekonvaleszenz nach den schweren Verletzungen verwundert allerdings ebenso, wie das faszinierende Erholungsvermögen des gesamten Pelotons zwischen den brutal hart gefahrenen Etappentagen. Bei der Rekonvaleszenz Anamnese steht Vingegaard im Übrigen nicht alleine dar, auch Roglic und Evenepoel gelingt diese phänomenale Rehabilitation, ebenso Wout van Aert, Jasper Stuyven, Mads Pedersen, Anthony Turgis und Biniam Girmay, welche allesamt in schwere Frühjahrsklassiker Stürze verwickelt waren, erhebliche Verletzungen davon trugen und sich bei der TdF in Topform präsentieren [32]. Der Indikator Erholung und dessen trainingsmethodische Beachtung ist bei der Crashhistorie der Protagonisten sicher besonders hervorzuheben, der Belastungsstreß auf den Organismus durch die Verletzungskompensationen stellt indirekt ja auch einen verdeckten Trainingsreiz dar. Schlussendlich scheint allerdings der unverletzt gebliebene Pogacar, trotz der enormen Vorbelastung durch den von ihm gewonnen Giro d´Italia, in einem frischeren Zustand zur TdF angereist zu sein. Erneut fördert allerdings die leistungsphysiologische Analyse der 11. Etappe Kennzahlen zutage, die in Reflektion zur Radsport Vergangenheit berechtigte Fragen zur Ursache dieser Leistungsexplosionen aufwerfen. Während die ARD noch Sichtungskriterien für TdF GC (General Classification) Aspiranten von 7W/kg über 5min bzw. 6,4W/kg über 20min relativer Leistungsfähigkeit und eine VO2max (maximale relative Sauerstoffaufnahme pro kg Körpergewicht) von 80ml/min*kg KG (KG=Körpergewicht) kolportiert [1], sprengen die Top Stars der Gegenwart diese ohnehin schon grenzwertigen Leistungsschwellen erneut. Diese individuellen Leistungskenndaten ermöglichen auch eine direkte Radtechnik materialunabhängige generationenübergreifende Vergleichbarkeit und Einordnung im Dopingkontext der letzten Jahrzehnte. Fakt ist, die aktuelle Radprofigilde bricht sämtliche Rekordwerte und das in einer bis dato nicht gekannten Leistungsdichte und –breite. Wie die nachfolgenden Teilsegmentanalysen der Leistungsdaten an den Anstiegen während der 11. Etappe offenbart, erreichen die Kombattanten inzwischen deutlich über 7W/kg KG über eine erhebliche Zeitdauer, bei einer maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit von annähernd 90ml/kg KG (Pogacar).
Aus den absolvierten Leistungsdaten über den mehrjährigen Saisonverlauf lässt sich ein entsprechendes Power Profil für jeden Athleten erstellen. Bei Pogacar kann eine FTP (Functional Threshold Power = Dauerleistungsgrenze) von 6,24W/kg kalkuliert werden, dies entspricht bei 66kg KG ca. 412W Absolutleistung als Dauerkapazität. Dazu kommt das der „Strahlemann“ auch noch über eine enorme anaerobe Mobilisationsfähigkeit verfügt, die bei ihm während 5min Peakleistung in Höhe von ca. 539W abgerufen werden kann [2]. Seine explosiven Antritte auf den diversen Bergetappen legen ein Zeugnis von dieser außergewöhnlichen Funktionsreserve ab.