Bei der Analyse der leistungsphysiologischen Kenndaten der Sieger des diesjährigen ÖRM (Ötztaler Radmarathons), kommt man bei den offenbarten absonderlichen Dimensionen nicht umhin diese Leistungen kritisch zu hinterfragen. Insbesondere im Kontext der hinlänglich bekannten und in zahlreichen Studien dokumentierten Mentalität der ambitionierten Breitensportszene (sog. „Jedermänner“) bezüglich der Applikation diverser ergogener und synthetischer Substanzcocktails zur Manipulation der individuellen humanphysiologischen Kapazitäten. Einschlägige Untersuchungen bei den artverwandten Laufsportveranstaltungen [1] oder der adäquaten Klientel in den zahlreichen Fitnessstudios [2] belegen die hohe Manipulationsbereitschaft ohne Rücksicht auf schädliche gesundheitliche Folgen. Dieses Verhalten trägt an sich schon schizophrene Züge, da gerade die Ausübung von Breitensport in erster Linie eigentlich der Gesundheitsförderung dienen sollte. So verwundert es auch nicht, dass bei den seltenen Stichproben in der Jedermann Radmarathon Szene, im italienischsprachigen Raum auch als Gran Fondo Events bekannt, regelmäßig Kandidaten mit positiven Dopingbefunden auffallen. Und dies insbesondere gemäß dem rheinischen Motto „je oller, je doller“. Das furchteinflößende Profil des ÖRM, auch als Jedermann Weltmeisterschaft betitelt, bietet zudem wohl eine hinreichende Grundlage zum Einsatz „unterstützender Mittel“, die Distanz (je nach Streckenverlauf zwischen 227-238km) und der topografische Charakter (über vier Alpenpässe mit 5500hm, [3]) lassen selbst bei gestandenen Radprofis gehörigen Respekt aufkommen. Für die meisten normalsterblichen Jedermänner stellt der ÖRM eine in jeder Hinsicht grenzwertige Herausforderung dar, bei der zumeist das Ankommen und Überleben im Vordergrund steht.

Eine kleine Auswahl an Fallbeispielen soll nachfolgend aufzeigen, das es sich bei der eingangs formulierten Arbeitshypothese keinesfalls um einen undifferenzierten Generalverdacht sondern eine nachweislich belegbare Kritik handelt. Da wäre bspw. Ersilio Fantini der am 2.6.2008, beim Gran Fondo Alta Valle del Tevere, eine zweijährige Sperre bis zum 5.9.2010 wegen EPO Dopings erhalten hatte. Gelernt hat der Delinquent allerdings daraus nichts, 2020 und 2024, mit inzwischen 57 Jahren, wurde er zum dritten Mal positiv getestet und endgültig aus dem Verkehr gezogen [4]. Und auch die Radamazonen sind keinen Deut besser, wie das Beispiel von Tania  Campelli am 24.5.2009 beim Gran Fondo Nove Colli zeigt. Sie bekam ebenfalls eine zweijährige Sperre bis zum 12.8.2011  auferlegt wegen des missbräuchlichen Einsatzes von Amphetamin. 2023 wird sie mit 44 Jahren erneut positiv getestet [5]. Dass es sich dabei keinesfalls um Einzelfälle handelt, kann man mit zahlreichen Statistiken und Fachartikeln nachweisen [6]. Dabei wird von Motordoping bis zu den einschlägig bekannten Hightech Pharmazeutika aus dem Profisportsektor das gesamte Manipulationsarsenal eingesetzt, wohlgemerkt von Jedermann Athleten im zumeist vorgerückten Alter bei Freizeitveranstaltungen. Eine kürzlich erschienene Filmdokumentation des BR zeigt auf, dass sich der Trend zum Einsatz unlauterer Substanzen zur Leistungssteigerung in Hobbywettkämpfen inzwischen regelrecht manifestiert hat [7]. Auch das Beispiel eines Amateurradrennens in Spanien, bei dem plötzlich 130 Teilnehmer das Rennen vorzeitig verlassen, weil während des Wettkampfes angekündigt wird das im Zielbereich Dopingkontrollen stattfinden sollen, hat zudem schon etwas von unfreiwilliger Situationskomik [8].

Abb. 1 Rheinische Post vom 1.07.2002

Zu allem Überfluss bietet die ÖRM Dopinghistorie weiteren Anlass zur berechtigten Kritik an der Leistung der Bestplatzierten. Im Jahr 2002 wird in Deutschland der erste EPO Doper überführt, Holger Sievers [9], 1996 war er der Gewinner des ÖRM [10]. Kurioserweise betreibt ausgerechnet dieser einschlägig Vorbestrafte eine Radsportakademie mit einem eigenen Gran Fondo Team [11]!  Der ÖRM Seriensieger von 2006, 2007 und 2009, Negrini, wird 2009 beim Gran Fondo Sportful in Feltre erwischt und fortan neutralisiert [12]. Die ÖRM Frauen Seriensiegerin (2009-2012) Edith Vanden Brande liefert ebenfalls eine positive Dopingprobe ab [13]. 2014 setzt sich die Serie mit dem Zweitplatzierten Emanuel Nösig fort [14], 2015 ergänzt dann der Doppelsieger Roberto Cunico die zweifelhafte Positivengalerie [15]. Die aberwitzige Leistung des 48jährigen Bernd Hornetz als ÖRM Sieger 2016, hat Boris Odendahl in einem hervorragend analytischen Artikel („Mutanten im Ötztal“) aufbereitet, dem nichts hinzuzufügen ist [16].

Von Smirs1

Studium der Chemie u. Sportwissenschaft; 30 Jahre Berufserfahrung in der klinischen Forschung, Medizinproduktezulassung, Fitnessindustrie u. Betreuung von Weltklasseathleten; ehem. Diplomand am Institut f. Biochemie u. Dopinganlytik d. DSHS Köln; investigativer Journalist in Mainstream u. alternativen Medien mit zahlreichen fachspezifischen Publikationen; passionierter Radsportler, seit 40 Jahren im Rennsattel unterwegs; Erfinder und Patentinhaber

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